DFB und Erdogan-Gate: Auf fehlendes Risiko- und Krisenmanagement folgt die Reputationskrise

Jürgen Bähr
veröffentlicht am 24. Juli 2018

Das hohe Risiko für eine Reputations- und Glaubwürdigkeitskrise der deutschen Spitzenfußballer Mesut Özil und İlkay Gündoğan, sowie den Deutschen Fußball Bund (DFB), war ab der WM-Kaderbekanntgabe für Russland klar vorhersehbar. Die monatelangen Diskussionen vor allem um die Freilassung von in der Türkei festgehaltenen Journalisten, die bevorstehenden türkischen Wahlen, die Vorberichte um die Fußball-WM hatten die Stimmung in der Öffentlichkeit für lautes Spektakel jeglicher Art aufgeheizt. So führten die bekannten Handlungen und Ereignisse um die Erdogan-Fotos, mit Fehleinschätzungen, fehlendem Risiko- und Krisenmanagement, zwangsläufig zu Kontrollverlust und zum Scheitern aller bisher agierenden Personen. Allein der türkische Präsident freut sich, dem es nämlich gelang wieder einmal Steine zwischen die Mühlräder zu werfen und Unruhe wie auch Zwietracht zu schüren.

Theaterreife Inszenierung in 3 Akten als Ablenkungsmanöver

Aber ja, es stimmt, über die Vergabe und die Teilnahme an großen Sportveranstaltungen muss man endlich reden, die politisch unter demokratischen Aspekten fragwürdigen Staaten und Politikern eine weltweite Bühne liefern. Auch die im Zuge der Ereignisse entstandene, wichtige Rassismusdiskussion sollte allerdings nicht allein in Deutschland weitergeführt werden. Doch die theaterreife Inszenierung des Özil‘schen Austritts aus der Nationalmannschaft in medienwirksam getakteten drei Akten darf nicht über die wahren Ursachen, Versäumnisse und Fehler rund um Erdogan-Gate hinwegtäuschen, die zu dieser beispielhaften Imagekrise wie aus dem Lehrbuch, mitsamt breitgefächerter, öffentlicher Diskussion führten.

Risiken verkannt – Fans hinters Licht geführt

Spitzensportler wie Özil und Gündoğan, die mit teuren Beratern längst ein weltweites erfolgreiches Eigenmarketing wie Spitzenunternehmen betreiben, haben mit ihren Teams die sich daraus möglicher Weise ergebenden Sensibilitäten und Risiken absolut verkannt oder gar nicht sehen wollen. Da helfen dann die ganzen bisherigen Charity-Aktionen nicht, um die entstandenen Probleme einfach mal so wegzukompensieren. Die Fußball- und WM-Fans, die ja heutzutage in den Sozialen Medien ganz gezielt alles mitbekommen sollen, und längst registrieren was ihre Idole so unternehmen, und mit wem, lassen sich nicht von ersten fadenscheinigen Begründungen wie etwa „sorry – war uns so nicht klar“ beirren und hinters Licht führen. Erst recht nicht vor einer heiß ersehnten WM, so dass schließlich ein sicherlich nicht kurzfristig geplanter PR- bzw. Marketingtermin mit einem seit Monaten in Deutschland heftig in der Kritik stehenden Politiker plötzlich in die falsche Richtung läuft. Zwei in Özils Brust schlagende Herzen und Ratschläge seiner Mutter hin oder her…

Erfolgs- und Gewinnmaximierung ohne Risikomanagement

Anhand der teils irrwitzigen Spieler- und Werbehonorare wird dem heutigen Spitzensportler mittlerweile unterstellt, dass er mit seinen Beratern gezielt strategisch und vor allem erfolgsorientiert und Gewinn maximierend agiert. Was das nun im vorliegenden Fall damit einhergehende Risiko-Management im Umfeld gesellschaftspolitischer Aspekte und Trends betrifft? … Absolute Fehlanzeige! Die politische Diskussion um Erdogans Politik und die bevorstehenden Wahlen sollte man auch in England und in den Beraterbüros mitbekommen haben. Man musste also auch als sportinteressierter Fan davon ausgehen, dass ein solcher Fototermin mit einem Staatsoberhaupt nicht nur länger geplant, sondern bewusst und in Kenntnis der möglichen gesellschaftlichen und medialen Auswirkungen stattfand.

Kein roter Alarm in der DFB-Zentrale

Eigentlich war also für alle Beteiligten von vorn herein klar, dass die Öffentlichkeit dies in Anbetracht aller Umstände nicht so hinnehmen wird. Und leider war dann auch klar, dass es als zusätzliche Folge natürlich niemals zu akzeptierende rassistische Auswüchse geben würde. Doch allein am „lauten roten Alarm“ in der DFB-Zentrale hat es gefehlt. Am Ende überrascht und taugt die kürzlich veröffentlichte Unschuldsbekenntnis des Herrn Özil nach dem Motto – ich war’s nicht, nur Ihr seid’s nach wie vor – als Ablenkungsmanöver nicht. Von mehreren Eigentoren am Stück zu sprechen, insbesondere auch auf Seiten der beiden Fußballer, wäre insofern viel zu milde geurteilt…

Unerledigte Hausaufgaben in der Kommunikation des DFB

Ähnlich beim mächtigen aber lethargischen DFB, dem weltweit größten Sportverband. Fehlendes Risiko- und schlechtes Krisenmanagement. Offenbar gar nicht auf kritische Themen vorbereitet, geschweige denn nicht aufnahmefähig für eventuell risikoreiche Entwicklungen z. B. im gesellschaftspolitischen Umfeld. Grundlegende kommunikative Hausaufgaben nicht gemacht. Und dies vor einem solch entscheidenden, ambitionierten Event wie der Fußball-WM. Geht man als Außenstehender von einer absolut akribischen WM-Vorbereitung des DFB aus, mit dem Kernziel in Watutinki ruhig und möglichst problemlos am Titel-Wiedergewinn arbeiten zu können, wurde man von den Spielern Gündoğan und Özil mit dieser Fotoaktion, einen Tag vor der Kaderbekanntgabe, völlig hilflos überrascht.

Nur 2 Optionen – riskantes Spiel für Ruhe und Ordnung

JA! Der rote Alarm ging nicht an, vielmehr wirkte es nach außen noch nicht mal wie ein kleines Alarmlämpchen, das jetzt hätte blinken müssen. Und dann gab es für den DFB schicksalhafter Weise letztlich nur ganze zwei nicht wirklich gute Optionen, um negative Unruhe und Ärger im Team, sowie in der Öffentlichkeit zu vermeiden: 1. Die beiden Spieler aufgrund der Ereignisse und der selbst gesetzten hohen Ziele zuhause zu lassen – dazu fehlte allein der Mut. 2. Man nimmt sie auf Ruhe und Zusammenhalt im Team und mit Medien, wie auch den Fans hoffend mit zur WM, und spielt damit extrem risikobereit mit dem Feuer. Ein extrem hoher Einsatz in einem sehr riskanten Spiel. Ohne Konzept viel zu kurzsichtig gedacht und gehandelt.

Chaos-Kommunikation und ihre Folgen

Dann, im WM-Lager längst angekommen, offenbar immer noch ohne stringentes Kommunikationskonzept zur einheitlichen Vorgehensweise. Was anscheinend bis zum WM-Ausscheiden und darüber hinaus auch so blieb. Vermuten lassen dies undifferenzierte Erklärungsversuche des Präsidenten in Richtung Integrationsproblematik (!?!), unterlassene konsequente Statements gegen rassistische Idioten, seltsame Pressetermine, Interviews der sportlichen Leitung oder schlichtweg die Nicht-Kommunikation. Das Resultat: Unzufriedene pfeifende, vergleichsweise wenige Fans in Russland, erhitzte Diskussionen in Deutschland bis nach Watutinki, das Zerwürfnis mit den Medien durch unprofessionelle Medienarbeit. Ob die schlechten sportlichen Leistungen darauf beruhen, sollen die Trainer oder Spieler beurteilen. Dass dies nach Außen bis heute ein trauriges Bild abgibt, und sich dies alles gegenseitig äußerst negativ auf die Gesamtsituation auswirkte, ist wohl unbestritten. Man kann auf die nächsten Auftritte der Nationalmannschaft und Funktionäre gespannt sein.

Scheitern vorprogrammiert

Durch extrem falsche und fehlende Kommunikation aller Beteiligten war die in sich weiter eskalierende Reputationskrise nicht nur nicht erkannt, sondern ohne Strategie und roten Faden weiter angeheizt worden. Am Ende das, was man schlechtes Krisenmanagement nennt. Von Risikomanagement keine Spur – absolute Fehlanzeige – die kommunikativen Auswirkungen eines risikobehafteten Umfelds wurden von Beginn an völlig unterschätzt, das Scheitern vorprogrammiert.

Einsicht in homöopathischen Dosen

Immerhin – und dies war im Ansatz alleinig richtig: Der DFB hat jetzt in einer aktuellen Presseerklärung zum Austritts Özils aus der Nationalmannschaft eigene Fehler eingestanden. Ganze zwei, zunächst nur recht kurz und eher oberflächlich, doch immerhin – im Gegensatz zu den beiden Fußballprofis.