Die Stunde des Siegers: Eine Schande, aber wir sind ja sowieso alle doof…

Jürgen Bähr
veröffentlicht am 19. Dezember 2022

Wenn man denkt, es könnte nicht noch abstruser kommen, dann wird man eines Besseren belehrt. Der WM der Schande in Qatar setzte man am Ende noch die hässliche Dornenkrone auf, denn bei der Siegerehrung auf dem fein gezimmerten Podest bekommt der leicht irritierte Lionel Messi von Qatars Emir einen schwarz-durchsichtigen Umhang übers Weltmeister-Trikot gestülpt. Wie bitte? Was PR-technisch „kulturell motiviert“ in alle Welt hinaus strahlen soll, ist am Ende ein respektloses, weil instrumentalisiertes Schauspiel, wie es mit der WM-Vergabe und dem Ziel maximaler Imageprägung vor zwölf Jahren rigoros begann, die Jahre über weitergesponnen wurde und jetzt beim sportlichen Höhepunkt des Weltfußballs seinen moralisch ethischen Tiefpunkt fand. Messi‘s Weltmeister-Trikot im wohl größten Moment eines Sportlers verhüllt. Respektlos!

Flüchtiges Image statt nachhaltiger Reputation

Ein Super-Event des Sports, das Länder und Menschen friedlich und ohne Diskriminierungen zusammenführen soll, konnte über die Jahre hinweg bis zum Schluss nicht fragwürdiger inszeniert werden. In einem Staat, der sich das finanziell und ressourcentechnisch machtvoll absolut leisten kann. Ein desolat maroder Fußballverband FIFA, der auf Gewinnmaximierung gepolt und durchweg käuflich ist. Arbeits- und Menschenrechte, die nicht gelebt werden, von Beginn an Korruption, so genannte Freundschaftsdienste und -geschenke in Millionenhöhe für internationale Landes- und Vereinsfunktionäre, die natürlich aufgrund ihre Verdienste als absolut integer einzustufen sind. Von der lachhaften ökologischen Nachhaltigkeit des Turniers ganz zu schweigen, wenn mal genau hingeschaut wird. Image kann man kaufen, Reputation nicht – erst recht nicht, wenn sich das Ganze übelst instrumentalisiert zu Propaganda entwickelt.

Arroganter Westen gegen arabische Kultur?

Und dann: Tiefgreifende, unsägliche und inakzeptable mittelalterliche Missstände und Lügeninszenierungen werden in der Folge als Glaubens- und Identitätswettkampf zwischen dem natürlich arroganten Westen und dem Nahen Osten in der Opferrolle abgebürstet, weil, der „Westen“ würde ja die arabische Kultur nicht verstehen wollen und sie nicht akzeptieren. Aha. Man frage aber einmal die Tausenden von Arbeiter*innen z. B. aus Asien und Afrika in Qatar, was die und ihre Familien dazu sagen – sofern sie es noch können. Sehr seltsame, fadenscheinige Erklärungs- und Abwälzungsversuche. Als ob man mit der gezielten Kritik an der WM und all den Rahmenbedingungen echte, landestypische „Kultur“ wie Wohn-, Essgewohnheiten, Musik oder Kleidung im arabischen Raum angreifen wolle. Mitnichten.

Ziele der Systeme falsch und verfehlt

Nein. Es ist auf diesem Planeten keine Zeit mehr für MITTELALTER. Laute Kritik an Menschenrechtsverletzungen, Unterdrückung, Folter und Korruption hat überhaupt nichts mit unverstandener „Kultur“ zu tun. Ob im Sport, aber vor allem in der Politik – die Menschheit ist zum Wohle Aller technisch und wissenschaftlich viel weiter als das, was tagtäglich gelebt wird. Ein Armutszeugnis für die Spezies Mensch. Der Kardinalfehler ist, dass die weltweit führenden Nationen ihren Aufgaben für eine friedlich gestaltete Co-Existenz nicht nachkommen, nämlich diese Welt zu einem besseren Platz für Alle zu machen. Ein Macht verherrlichender Kampf der Systeme ist in dieser Form und zu Ende gedacht völlig fehl am Platz.

Und das Desaster nimmt kein Ende

Da passt es doch dazu, dass die #OneLove Aktion einiger europäischer Fußballverbände, inklusive DFB, an die Wand gefahren wurde. Die hämischen aber die eigentliche Realität im Wüstenstaat zeigenden Fotos, mit qatarischen Männern und vor die Münder gehaltenen Händen – seltsamer Weise ohne Frauen – absolut geschenkt. Aber für den deutschen Fußball erneut ein fataler Verlust an Reputation – sportlich wie auch (verbands)politisch. Das nochmals unnötige, frühe Ausscheiden bei einem internationalen Spitzenturnier, trotz guter Spieler, zumindest auf dem Papier. Doch nach dem Özil-Erdogan-Desaster vor der WM in Russland hat man trotz neuem Kommunikationsdirektor aus der TV-Branche kommunikativ nichts gelernt. Die kommunikativen Mechanismen im Hinblick auf die Außenwirkung des DFB sowie ihre Folgen – sportlich und als international führende Institution – sind offenbar immer noch nicht erkannt und schon gar nicht irgendwie strategisch und zielführend bearbeitet worden. Eine „Task Force“ bestehend aus sicherlich wohlverdienten, aber ausschließlich männlichen und älteren Repräsentanten des Fußballs soll es nun richten. Offenbar parallel zu einer weiteren Arbeitsgruppe um Philipp Lahm. Sportlich und strukturell muss es einen Neuanfang geben. Okay. Aber was macht der verbliebene Bundestrainer Flick jetzt so anders, und wie soll er es jetzt anders machen, wenn es bisher auch nicht funktionierte? Und welches Kommunikations-Desaster in der Außendarstellung kommt jetzt bitteschön als Nächstes…? Man darf gespannt sein.

Ach ja, Highlights gab’s auch

Glücklicher Weise hat der Fußball bei dieser WM wenigstens einige sportliche Sternstunden gehabt. Die fast unbezwingbaren marokkanischen „Atlas Löwen“ oder das schon als episch einzustufende Finale zwischen dem späteren Weltmeister Argentinien und dem Ex-Weltmeister Frankreich. Ein sportliches Messen zum Ende hin auf höchstem Niveau, das der internationale Fußball einfach verdient. Selbst wenn der Ausgang im Elfmeterschießen immer auch mit Glück zu tun hat.
Übrigens: Wem gehört eigentlich der Verein in dem Messi spielt…?

Foto: istock|BERRYCOMM