Social Media – Like? Dislike?

Jürgen Bähr
veröffentlicht am 21. Januar 2019

Fast schon irrwitzig weil gleichzeitig deprimierend, die momentane Diskussion und hinterfragend, kritische Berichterstattung über die Sinnhaftigkeit der Sozialen Medien und den sozialen Brennstoff, den sie mittlerweile äußerst explosiv transportieren. Aktuelle Anlässe: Ein Politiker verspricht sich in einem Statement, ein Sportidol wird in seiner Aussage missverstanden, das Netz, die Online Community reagiert gnadenlos und haut auf das digitalisierte Opfer ein als gäbe es kein morgen mehr. Und dies sind eher noch fast harmlose Fälle, fragt man z. B. mal die eine oder andere Journalistin, die enorm standhaft unter verbalem Dauerbeschuss von Hatern steht.

Überraschung: Der nun vermehrt der Offline-Realität zugewandte Politiker verlässt twitter und Facebook, will sich verstärkt auf das Wesentliche im Umfeld konzentrieren. Respekt, wirft er doch seine Follower einfach mal so über Bord. Aber ist das wirklich die Lösung? Und kommt dies wirklich alles so überraschend? Unvorbereitet? Es ist außerordentlich kompliziert in einer Welt, die sich vernetzt in einem unkontrollierbar chaotischen Permaschreimodus befindet.

Soziale Medien bieten freie Darstellungsplattformen für Alle. Sie sind öffentliche Litfaßsäulen, an die jeder was ranklatschen darf: Texte, Bilder, Filme, quasi alles. Jeder darf bester Fussballtrainer, vertrauenswürdigster Bundeskanzler oder schönstes, lustigstes Freizeit-Model sein. Dauergrinsen, Wackelbilder, zwanghaft lustig oder gar blanker Hass – alles ist möglich. Jeder will gefallen, hat mindestens die allerbeste Lösung und selbstverständlich recht. Natürlich alleinig.

Auf der Suche nach viel Bestätigung gemäß der Gleichung
Likes = Anerkennung = Belohnung = Motivation = mehr Likes
in der Community noch besser und größer zu werden durch Gleichgesinnte, Mitläufer, Sympathisanten oder halt einfach nur interessierte Onliner, werden möglichst große Meinungsfelder mit vielen, folgenden Anhängern und meist virtuellen Freunden gebildet. Diese dienen wenn’s inhaltlich undemokratisch, rassistisch und beleidigend wird insbesondere Jenen, die sonst eher im Verborgenen oder am Stammtisch agieren und im Zweifelsfall dort die viel bessere Spieltaktik haben oder ihre unterirdische oft Menschen verachtende Meinung verbreiten. Nicht zu unterschätzen: die ferngesteuerten Meinungsroboter, die Digitalarmeen nach Weltherrschaft strebender Despoten im Netz. Der Rattenfänger von Hameln lässt grüßen.

Das klassische Belohnungssystem mit Anerkennung und Motivation funktioniert insbesondere und ganz wunderbar auch hier in der digitalen Welt. Und NEIN, es ist nicht neu was in den sozialen Netzen dafür getan wird, immer wieder noch mehr User zu generieren und für etwas zu werben und zu begeistern. Mit selbstkritischem Blick erkennt man, Pflichten, Zwang, Spaß, Belohnungen, Gelüste und Suchtgefahren befinden sich überall dort, wo der Mensch agiert, sich ausbreitet und vorwärts kommen will.

Doch mit einem anonymen Social Media-Profil lässt’s sich als „Troll“ wunderbar leben, öffentlich unerkannt und feige den blanken Hass rausposaunen. Bis hin zu gezielten Kriegsdrohungen und Propaganda gefärbtem Prahlen mit Atomwaffen von höchster Stelle. Der vermeintlich mächtigste Mann der Welt winkt der Welt via twitter wortgewaltig zu. Es braucht ein wirklich dickes Fell und sehr viel Kraft, dies alles auszuhalten geschweige denn für sich zu sortieren. Wirklich großer Respekt gebührt denjenigen, die im Netz permanent und unter Dauerbeschuss stehen, weil sie die Meinungsfreiheit und Menschenwürde verteidigen.

Schaut man in autoritäre, zunehmend populistisch geprägte Staaten, werden Meinungsfreiheit – und damit vor allem auch freie soziale Netzwerke – mehr und mehr zur Mangelware. Die systematisch rigorose, evtl. gewaltsame Verknappung von Meinung en twickelt sich peu á peu schleichend zur gesamtgesellschaftlichen Gefahr. Weil Info-Defizite, Stillstand durch Blockaden. Es soll dann auch nicht eine bessere Welt in der Social Media geschaffen werden, indem man sie einschnürt und wegsperrt. Da geht es dann vielmehr um die eine und wirklich wahre Weltanschauung, um Macht und ums Herrschen über die eigene Bevölkerung.

Was also tun? Das Netz verbieten, kontrollieren, filtern? Dies will zwar keiner, muss aber tlw. bei uns schon geschehen, um dem wildesten Treiben einigermaßen Einhalt zu gebieten. Hasspredigern etwa muss die Plattform entzogen werden.

Aber es gibt auch den Widerstand, der aufrichtig dagegen hält. Der die Meinungsfreiheit in den sozialen Netzen auf demokratischer, die Menschenwürde achtender Basis heroisch verteidigt und fortlaufend lebt.

Soziale Netzwerke sind längst sehr wichtig und unverzichtbar geworden. Sie bilden einen fast unendlich scheinenden Nachrichten- und Meinungsmarkt. Doch er funktioniert brutal schnell, dynamisch, ist ehrlich und falsch, lügt, bietet Fallstricke aber auch Chancen mitzuspielen im Konzert. Seriös und vorausschauend agiert aber nur, wer im Rahmen seines Reputationmanagements rundum 360 Grad einen klaren Plan hat, klare Linien zieht für authentische Botschaften. Je mehr man im Rampenlicht steht, desto wichtiger werden diese Regeln, zusammen mit dem überproportional steigenden Faktor Zeit, die man kontinuierlich aufwenden muss, um seinen strategischen Weg im Netz zu gehen. Nicht nur, aber insbesondere in der Social Media.

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