WM: Von der Fehleinschätzung über Kontrollverlust zum Scheitern

Jürgen Bähr
veröffentlicht am 1. Juli 2018

Das WM-Fiasko und der Ärger mit den Fans. Raus, raus, raus – die Deutschen sind raus – Deutschland ist nicht schon wieder Fußballweltmeister! Soweit zum sportlichen Teil. Ein riesiges, ehrgeiziges Projekt in Russland endete vorzeitig und sehr enttäuschend. Die Gründe sind sicher vielschichtig. Der Geist von Watutinki wollte oder konnte nicht erscheinen. Auch in der Kommunikation rund um das DFB-Team passierten eklatante Fehler. Diese führten in diesem Jahr von der Fehleinschätzung über Kontrollverlust mit zum Scheitern, nicht nur was das fußballerische Ansehen des DFB-Trosses betrifft. Schon vor 4 Jahren fiel vor der WM auf, dass die Kommunikation des weltgrößten Fußballverbands bei aller professionalisierter Umsetzung – vermutlich ein großes recht spezialisiertes Team – „klinisch sauber“ umgesetzt wird. Vereinfacht gesagt, es wird „gefiltert“ oder man hält sich bei Bedarf bedeckt, „macht zu“, keine Fragen erlaubt. Basta! Kann man machen, muss man vielleicht auch mal machen. Wenn es schlichtweg keine Neuigkeiten gibt. Transparenz und Offenheit leiden, Medien und Öffentlichkeit sind zurecht angesäuert. Positives Gegenbeispiel: die „mixed zone“ in der Woche nach dem katastrophalen Mexiko-Spiel.

Erdogan-Gate und seine Folgen

Im Fall der beiden Erdogan-Gate-Betroffenen Özil und Gündogan – was man nämlich bis zum Aus noch erschwerend mit sich rumschleppte – nahm das Fiasko seinen Anfang, das Ganze ging schlichtweg extrem in die Hose. Hier wurden ganz klare Fehler gemacht. A) Von den Spielern/Beratern, B) vom Trainer C) vom DFB. Das Foto der beiden sportlichen Offensiv-Protagonisten mit dem Kalifen vom Bosporus ging natürlich blitzartig durch die Medien und erzürnte nicht nur die Fußball-Fans. Alle Beteiligten unterschätzten oder ignorierten schlichtweg bewusst oder unbewusst die kritische Sichtweise der Öffentlichkeit, deren Aufgeklärtheit und Sicht für Realitäten. Schnell hieß es: Die Mega-Stars mal wieder, bekommen den Hals nicht voll, etc. Von verbalen Entgleisungen auf Seiten der politischen Hetzer und Hassprediger mal ganz abgesehen.

Aua, Eigentor

Ein vorhersehbares Eigentor. Statt Transparenz und wahre Offenheit zu bieten, Fakten zu schaffen, wird nur beschwichtigt und verschleiert, entschuldigt. Obwohl man bei diesem ambitionierten Ziel Ruhe und Fokussierung im Trainingslager suchte, die beiden fuhren mit nach Russland, auch wenn 100 % klar war, dass dieser Vorfall noch sehr lange nachhallen wird und durchaus Krisenpotential in sich birgt. Hier hätte der Trainerstab mal den berühmten „Arsch in der Hose“ oder „Eier zeigen“ können, indem er die beiden Fotomodells zuhause lässt, um mal im Fußball-Jargon zu bleiben. Die entschuldigenden Statements der Spieler, nach dem Motto „das wussten wir gar nicht, hätten wir aber nicht gedacht“  – sofern es sie überhaupt gab – zielten auf beschwichtigen und runter spielen ab. Hallo? Sport-Millionäre? Medien-Profis? Top-Berater? Man kann wirklich nur den Kopf schütteln.

Fans hinterm Mond?

Ergebnis: Die Glaubwürdigkeit aller Beteiligten hat extrem und nachhaltig gelitten. Um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, führt man dann noch seitens des DFB-Präsidenten Grindel die Integrationsproblematik als Grund für laute Pfiffe im Stadion vor, die es sicher gibt, aber hier nur eine müde Alibifunktion einnimmt. Sorry lieber DFB, man kann die Leute, die man sich als Fans wünscht, in Zeiten globaler, digitaler Kommunikation nicht für dumm verkaufen. Auch wenn der Zeitpunkt des Vorfalls so kurz vor der WM zugegeben insgesamt sehr schlecht war. Aber den hat sich die Öffentlichkeit auch nicht gewählt! Das sich schwelbrandartig entwickelnde Problem dieses  Fototermins mit seinen negativen Auswirkungen auf die Reputation der Spieler und DFB-Verantwortlichen – bis ins sportlich Mentale – kam ursächlich vom Bosporus und den Spielern/Beratern, und wurde zudem vom DFB nicht eliminiert, sondern eher noch vergrößert. Es liegt ursächlich nicht bei den Fans. Die Glaubwürdigkeit litt in der Folge immens! Ergebnis: Die Reputationskrise und ihre Folgen – Fans und Zuschauer sind zurecht sauer. Das sportlich historische Aus nach der Vorrunde.

Überraschung? Lessons learned.

Verband, Spieler, Berater schätzen offensichtlich die Auswirkungen ihrer PR- und Marketing-Aktivitäten und damit auch einen Großteil der Medien und Fans völlig falsch ein, die ganz genau beobachten, was ihre Lieblinge tun. Wie sie spielen. Wann, wo und mit wem sie z. B. Geld verdienen. Oder man ging dieses Risiko bewusst ein, schluckte die Kröte, es sollte Gras drüber wachsen? Doch Bitteschön – jeder etwas bessere Fußballspieler, der im Rampenlicht des Spitzensports eine gewisse Wahrnehmung erfährt, kommuniziert und agiert doch mittlerweile wie ein Wirtschaftsunternehmen. Über die Vereine oder Berater sind oft Dritte dafür zuständig, die Fahne nach außen öffentlichkeitswirksam und marketingträchtig hochzuhalten. Überrascht? Was hat man sich hierbei also gedacht? Wenn wie im Fall des DFB-Teams etwas schief geht, trotz Standard-Medientrainings oder weil Marketing absolut Vorfahrt hat, dann geht die Reputation in den klassischen Print- und audiovisuellen Medien und insbesondere in der Social Media in Sekundenschnelle weltweit in den Keller. Nicht neu.

Die Reputation beeinflussende Entwicklungen wie diese – insbesondere auch gesellschaftliche Trends und Sichtweisen – haben sensibel agierende, erfahrene Berater auf dem Plan und bieten Lösungen. Kritik, Wut, Pfiffe, im besten Fall fast noch Lethargie bei den Fans waren und sind Gift für ein beherztes, erfolgreiches Auftreten DER MANNSCHAFT. Oder den Verein, das Unternehmen oder den Verband.